Fraternität

der kranken und behinderten Personen

ulrikeVon Mensch zu Mensch

Ist es nicht so, dass jeder Mensch an irgendetwas zu tragen hat? Der eine hat eine Gehbehinderung, der andere einen seelischen Schmerz, der eine hat eine chronische Erkrankung, der andere fühlt sich nicht gesehen und im Leben benachteiligt.

Jeder hat ein Päckchen zu tragen, jeder hat an etwas zu „knabbern“. Bei manchen Menschen sieht man es, da ist es offensichtlich, manche leiden im Verborgenen.

Wie wertvoll waren meine Erfahrungen, die ich als „gesunder“ Mensch in der Begegnung mit behinderten Menschen in der Fraternität machen durfte! Als Kind und Jugendliche lernte ich den Menschen hinter der Behinderung zu sehen, die Behinderung gar nicht mehr so wahrzunehmen. Beim einander Treffen geht es nicht um die Behinderung oder den Betreuungsbedarf aufgrund der Behinderung, sondern darum sich zu begegnen - einfach von Mensch zu Mensch.

Ich hielt mich immer für nicht schön genug, nicht schlank genug, nicht trainiert genug, nicht eloquent genug. Das hat sich zwar bis heute nicht geändert, aber ich habe gelernt, dass es im Leben nicht darauf ankommt perfekt zu sein. Meine Freundinnen mit Behinderungen zeigten mir, worauf es im Leben wirklich ankommt. Ich stellte mir sehr bald die Fragen: Was ist wirklich wichtig im Leben? Was macht das Leben aus, was macht mein Leben aus? Was bleibt übrig, wenn womöglich alles wegfällt, was ich selbst im Leben für so wichtig halte? Was bleibt übrig, wenn Leistung, Schönheit und Selbstoptimierung keine Themen mehr sein können?

Die Antworten kann und muss jeder für sich selbst finden. Ich jedenfalls habe erlebt wie wertvoll Menschen mit Behinderungen sind, wie wichtig ihre Beiträge und Erfahrungen sind und wie bereichernd ihre Freundschaft ist. Ich für mich hab dadurch erkannt, dass ich nichts leisten muss um wertvoll zu sein, dass ich nicht perfekt sein muss um wertvoll zu sein. Einfach weil jeder Mensch wertvoll ist.

Msgr. Henri François, der Gründer der Fraternität, hat gesagt: „Der Kranke ist der Apostel des Kranken.“ Aber der Kranke ist nicht nur Apostel für den Kranken, sondern auch für den Gesunden. Jeder Kranke gibt Zeugnis mit seinem Leben. Jeder Mensch mit Behinderung ist eine „Botschaft an das Leben“. 

Meine zweite Lernerfahrung war, dass Heilung und Entfaltung durch die Hinwendung zum DU passieren. Behinderungen schränken das Leben ganz massiv ein, Schmerzen und das Erleben von Hilflosigkeit sind Alltag. Das ist die ungeschönte Wirklichkeit. Und trotzdem erlebe ich Menschen, die es schaffen dort nicht stehen zu bleiben, die sich nicht ständig um das eigene Nicht können drehen, sondern ihr Augenmerk darauf lenken, was sie tun können – für andere. Sie drehen sich nicht ständig um ihre eigene Behinderung, sondern finden Entfaltung in der Fürsorge für andere. Sie entfalten sich wie eine Blume, die nach und nach aufblüht. 

Menschen sind oft sehr verschlossen in ihrem Leid. Das betrifft nicht nur Kranke und Menschen mit Behinderungen. Wollt Ihr sie öffnen und zur Entfaltung bringen? François hat mal gesagt: „Man öffnet eine Rosenknospe nicht mit dem Taschenmesser.“ Das heißt persönliche Entfaltung ist nicht möglich indem man sagt: „Du musst dich ändern.“ oder „Du musst das und das tun, sonst wird das nichts.“ Das erzeugt Druck und wirkt demotivierend. Was braucht eine Rose um aufblühen zu können? Sie braucht Sonne, Dünger und muss regelmäßig gegossen werden. 

Ist es mit uns Menschen nicht genauso? Sind wir nicht alle in irgendeiner Weise im Zustand der „Rosenknospe“? Auch wir brauchen Sonne, Dünger und müssen regelmäßig gegossen werden. Wir Menschen können uns am besten entfalten in einer Atmosphäre der Liebe und des Angenommenseins. Das ist unsere Sonne. Wir brauchen geistliche Nahrung als Dünger und müssen regelmäßig „gegossen“ werden durch den Kontakt mit lieben Menschen. Dann werden wir erblühen und unsere Umgebung mit unserem „Duft“ erfüllen.

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